![Foto: Claudia Bernhardt](http://ps.welt.de/files/2015/06/WP_20150617_10_42_38_Pro.jpg)
Von CHRISTOPH RICHTER
Freitag, kurz nach vier. Die Tiefgarage im Axel Springer Haus ist schwach beleuchtet. Die Lichtröhren schimmern schwach, die Luft riecht nach Benzin und Gummi. Ein alter Golf verdeckt mir die Sicht auf den Traum meiner Kindheit, Jugend und meines Erwachsenendasein. In Saphirblaumetallic leuchtet die Karosse und wartet, eingezwängt zwischen dem Golf und einem Avensis auf Befreiung. Tiere sollen nicht eingesperrt werden. Sie müssen frei sein, sich lebendig fühlen dürfen. Und so ist es auch mit diesem Auto. Auf dem Kennzeichen stehen die Buchstaben G und O. Es ist eine Aufforderung. GO! Ich komme dieser Forderung liebend gerne nach.
Beim Einsteigen fällt mir erstmals auf wie tief man eigentlich sitzt und vom Wagen eingekapselt wird. Ein Sportwagen muss den Fahrer vereinnahmen, muss ihn fordern, an seine Grenzen bringen. Ein Cabrio war noch nie mein bevorzugtes Fortbewegungsmittel. Richtige Temperatur gibt es im Cabrio nicht. Entweder zu kalt, zu warm, Fahrtwind von Links zu stark, Fahrtwind von recht zu stark, richtig angenehm ist es nie. Sauna oder Türkisches Gefängnis würde Jeremy Clarkson jetzt sagen. Ich habe mich nie richtig wohlgefühlt, so ohne Dach. Ohne Dach wirken viele Autos nicht Vollständig, als würde ihnen ein Teil zur Vollendung fehlen. Dieser Wagen ist anders. Ich zögere, bevor ich den Schlüssel drehe, doch warum nur? Nichts habe ich so herbeigesehnt, wie diesen Tag. Als ich ihn dann doch drehe, freue ich mich so sehr, wie an dem Tag, als ich mein erstes Spielzeugauto in Händen hielt.
Egal wie alt, egal in welch katastrophalem Zustand, für diesen Wagen habe ich immer einen Augenblick meiner kostbaren Zeit. Der Klang in der Tiefgarage ist so überwältigend, dass ich auf ewig in ihr verweilen möchte. Leider ging das nicht, denn dann hätte ich diese Zeilen nicht von mir geben können und würde noch immer in der Tiefgarage hocken, dem Hungertod nahe und am nächsten Autoreifen nagend. Also schleiche ich aus der Tiefgarage und wage mich in den Berliner Stadtverkehr.
Bevor wir starten, drücke ich den Knopf, mit dem ich den Himmel genauer in Augenschein nehmen kann. Das Wetter ist gut, also entscheide ich, weiter zu machen. Die Glaskuppel hebt sich mit einem leichten Surren nach hinten weg und macht Platz für das schwarze Dach, das über den silbernen Bügel hinweggleitet, um dann sanft in eine Mulde hinter den Notsitzen zu gleiten. Die mechanische Präzision, mit der sich das Dach versenken lässt, ist beeindruckend und verwunderlich zugleich. Wie haben die das bloß hingekriegt? All die kleinen Streben, Schrauben und Gelenke würden mit musikalischer Unterhaltung ein wunderbares Bild abgeben.
Auf der Heimreise Richtung Prenzlauer Berg gibt es leider keine Möglichkeit, den Wagen auch nur einmal ansatzweise zu beschäftigen. Aus den vier Endrohren bettelt er mich an, fleht um einen Tritt aufs Gas. Ein kurzer Tunnel, manuelle Schaltung und einmal kurz Vollgas. Nur Fliegen ist schöner, wie mein Vater sagen würde. Falsch! Beim Fliegen habe ich keine Kontrolle. Ich bin lediglich einer von Vielen, der sich aufreiht, einreiht, dann einsteigt und am Ende wieder aussteigt und dabei über nichts die Kontrolle hat, außer die Sitzverstellung und den kratzigen Musiksender der Fluggesellschaft.
Wenn ich ein Auto fahre, dann habe ich die Kontrolle. Ich entscheide, ob Links oder Rechts, ob Vor oder Zurück. Ich muss nirgendwo anstehen, nirgendwo warten, nirgendwo die Kontrolle aus der eigenen Hand geben. Das ist es was Fahren so spannend macht.
Im Tunnel schreit der Sechszylinder-Boxer so laut, dass ich meinen eigenen Gedanken nicht Folge leisten kann. Zu sehr bin ich im Bann des Wagens.
Schneller als gedacht, endet die Fahrt. Noch ein paar Seitenstraßen am Prenzlberg abgekurvt und eine Gruppe Kinder mit einem Tritt aufs Gas beglückt.
Ziel erreicht. Eine kleine Flagge auf dem Navi gibt mir zu verstehen, dass ich an meiner gewünschten Position angekommen bin. Und doch habe ich das Ziel nicht wirklich erreicht, denn der Wagen gehört ja nicht mir. Ich muss ihn abgeben, kann ihn nicht parken, um morgen wieder einzusteigen.
Ich bestätige Albert Einstein: Dinge, die besonders viel Freude machen, gehen einfach viel zu schnell vorbei. Was für eine Tragödie! Ich steige aus und verweile noch einige Minuten am Auto, bevor ich den Schlüssel überreiche. Ich weiß, das der saphirblaumetallic farbene Targa mich genau so vermissen wird, wie ich ihn.
Eines Tages mache ich mich auf die Suche nach S-GO-4156 und werde ihn kaufen, ob ich ihn mir dann leisten kann, dass wird sich zeigen. Notfalls werde ich ihn stehlen und damit höchstwahrscheinlich das Land verlassen müssen, doch dieses Risiko gehe ich ein. Vielleicht sehen Sie mich eines Tages, einen verwahrlosten Mann, mittleren Alters, in einer Tiefgarage mit einem Porsche. Vermeiden Sie einen Anruf bei den Behörden: Ich bitte Sie.
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